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Das
Schwerpunktthema am Freitag, 28. November 2003
Heiler
werden
Wer
Heiler werden will,
muss heiler werden.
Titel einer Diskussionsveranstaltung
beim Basler „Weltkongress für Geistiges Heilen“
„Lange
Zeit glaubte ich, Heilen sei nicht lernbar“, bekennt
Viktor Philippi. Doch dann, im Sommer 1995, überwältigte
ihn eine „Vision“, in der ihm Gott „mitteilte,
dass ich mein Wissen und Können weitergeben soll“
– und ihm offenbarte, wie. Im Herbst 1996 veranstaltete
er daraufhin die ersten Kurse; bis heute haben schon über
600 Schüler seine Ausbildung durchlaufen.
Der Gesinnungswandel des prominenten Heilers, der 1992 aus
Kasachstan nach Deutsch-land übersiedelte, steht für
ein Umdenken in der Esoterikszene allgemein. Galt die Fähigkeit
zum Geistigen Heilen jahrtausendelang als göttliche
Gabe weniger Auserwählter, so setzt sich neuerdings
immer mehr die Ansicht durch: Heilen könne eigentlich
jeder – er benötige bloss die richtige Anleitung,
damit das Talent zum Vorschein kommt. Den Boden dafür
bereitete schon die legendäre Leitfigur der sechziger
Jahre, der Engländer Harry Edwards (1893-1976): "Wer
den Wunsch hat, Hilfsbedürftigen beizustehen, dessen
Heilungspotential kann entwickelt werden“, so behauptete
er. „Dies ist um so sicherer, wenn der Wunsch zu einem
tiefen Sehnen wird, Schmerz wegzunehmen und Leid zu lindern."
1
Allerlei Lehrbücher multiplizieren seither die frohe
Botschaft: "Jeder, der den ernsthaften Wunsch und echtes
Interesse besitzt, kann seinen Geist und seine Hände
zum Heilen gebrauchen. Die einzige Voraussetzung ist Interesse
und Einfühlungsvermögen."
2
- "Egal, ob Sie sich mit Esoterik auskennen oder an
Gott glauben - Sie können in jedem Fall lernen, wie
man die heilenden Kräfte richtig lenkt."
3
- "Wir alle sind Heiler - jeder besitzt diese angeborene
Fähigkeit... Es handelt sich also nur um eine Frage
der Zeit und Energie, die Sie zu deren Entfaltung gewillt
sind einzusetzen."
4
- Immer zahlreicher, immer vielfältiger werden entsprechende
Schulungsangebote. Im selben Masse wächst die Verunsicherung
der Interessenten: Worauf sollen sie sich einlassen? Was
zeichnet einen seriösen, hochwertigen Heilerkurs aus,
bei dem Kosten und Zeitaufwand in bestmöglichem Verhältnis
zum persönlichen Ertrag stehen? Nach welchen Kriterien
sollte die Wahl getroffen werden?
Einige
der erfahrensten Ausbilder im deutschsprachigen Raum werden
sich am ersten Tag des diesjährigen „Weltkongresses“
um Orientierungshilfen bemühen: neben Viktor Philippi
(„Europäische Gesellschaft für Bioenergetik
Extrasens“) auch George Paul Huber („Livitra“-Heilzentrum),
Horst Krohne („Schule der Geistheilung“) und
Rolf Thomas Steiner („Snowlion Center Schulen).
Die
zu klärenden Fragen sind ebenso zahlreich wie knifflig.
Bringen etwa Schulungsangebote in Reiki oder Prana-Heilen,
Qi Gong oder Therapeutic Touch, Universal Tao oder Magnified
Healing die besseren Heiler hervor? Ist das Teuerste das
Beste? Je länger, desto effektiver? Genügen berufsbegleitend
sechs Wochenenden im Laufe von fünf Monaten, wie bei
Viktor Philippi, oder sind vier Jahre ratsam, wie bei Rolf
Steiner? Muss ein Heiler diagnostizieren lernen, worauf
z.B. in Krohnes „Schule der Geistheilung“ grosser
Wert gelegt wird? Welchen Anteil am Lernerfolg hat die vermittelte
Behandlungsweise – und welche die Persönlichkeit
des Lehrers? Kommt es darauf an, ein bestimmtes Arsenal
von therapeutischen Techniken möglichst souverän
zu beherrschen - oder steht „die Methode an zweiter
Stelle“, weil „das Wichtige ist, dass Menschen,
die heilen, Liebe und Vertrauen haben“
5
- Wann sind Kursteilnehmer reif für bestimmte Lerninhalte?
Sollten sie beispielsweise mit „Fernbehandlungen“
schon am ersten Kurswochenende beginnen (wie bei Philippi),
erst im fünften „Intensivseminar“ (wie
bei Krohne) oder nicht vor dem dritten Lehrjahr (wie bei
Steiner)? Muss einer guten Heilerausbildung eine tiefgreifende
Persönlichkeitsschulung vorangehen – und wie
intensiv muss sie sein? Besucher der „Snowlion Schulen“
etwa verbringen ihre beiden ersten Lehrjahre damit, „das
Fundament auf der persönlichen Ebene zu legen“
(Instituts-broschüre); erst im dritten Jahr steht „Geistheilung“
auf dem Lehrplan.
Auf
all diese und viele weitere Fragen fehlen bislang überzeugende
Antworten - wegen eines grundsätzlichen Dilemmas. Wer
von einer
Fähigkeit behauptet, sie sei lernbar, muss erklären
können, wie er den Lernerfolg feststellt – woher
er weiss, dass nach Abschluss der Lernphase mehr davon vorhanden
ist als vor Beginn. Und er muss zeigen können, wie
die Art und Weise, die Lehrzeit zu gestalten, mit dem Lernerfolg
zusammenhängt; nur so kann er die Ausbildung mit Inhalten
füllen, die nicht beliebig, sondern förderlich
sind, und zwischen vielerlei denkbaren (und praktizierten)
Ausbildungsalternativen die beste wählen – das
heisst diejenige, deren Absolventen die betreffende Fähigkeit
tatsächlich beherrschen, und das möglichst gut.
Zur Klärung beitragen könnten überzeugende
Prüfverfahren für Geistheiler – doch daran
mangelt es vorerst, trotz einiger ermutigender Ansätze,
um die es am zweiten Kongresstag gehen wird. (Siehe Text
„Heiler testen“.)
Wenn
aber die Fähigkeit zu heilen im Grunde nicht objektiv
feststellbar ist - zumindest nicht mit den bisher verfügbaren
und eingesetzten Mitteln, ist vorerst leider auch nicht
zu entscheiden, welche Ausbildungen die besseren Heiler
hervorbringen. Ja, es lässt sich noch nicht einmal
sagen, ob ausgebildete Heiler besser sind als unausgebildete.
Jedenfalls finden wir herausragende Heiler nicht selten
unter sogenannten "Naturtalenten", denen ihre
Fähigkeit wie aus heiterem Himmel "zufiel"
und die sie seither eher intuitiv anwenden, als irgendwelchen
esoterischen Methodenlehren und Theorien zu folgen.
Einige
der meistbewunderten Heiler, die beim „Weltkongress“
auftreten, haben keine Minute lang die Schulbank irgendeines
Instituts gedrückt – sie fanden zu ihrer Berufung
auf einer Vielzahl anderer Wege:
- Die Fähigkeiten mancher Heiler scheinen regelrecht
in der Familie zu liegen, sie wurden über Generationen
weitergegeben
- Manchmal traten sie spontan schon in früher Kindheit
auf, hin und wieder auch
- nach Unfällen oder anderen lebensgefähr-lichen
Situationen, oft verbunden mit einem Nahtodes-erlebnis
- nach schwerer Krankheit
- nach tiefen persönlichen Krisen
- nach einem physischen Zusammenbruch
- durch zufälliges Ausprobieren (meist an kranken Angehörigen,
Freunden, Bekannten, Arbeits-kollegen; manchmal auch an
Tieren)
- durch Hinweise von Anderen (Heilern, Medien, Hellsichtigen)
- durch ein "Erleuchtungserlebnis", etwa in einer
Vision oder einer „inneren Stimme“ folgend
- durch Selbststudium
Warum boomt ausgerechnet das Heilenlernen seit Jahren, trotz
dieser offenkundigen Alternativen? Ein Teil der Wahrheit
steckt vermutlich in wirtschaftlichen und juristischen Rahmenbedingungen,
denen sich auch praktizierende Esoteriker kaum entziehen
können.
1. Mit Esoterik seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist
selten ein Zuckerschlecken; ausserhalb der „Szene“
fehlt in der Regel ein breiter, kapitalkräftiger Markt,
erst recht in Zeiten schwacher Konjunktur, der Konsumenten
sparsam macht. Doch zumindest rund ums Thema „Heilenlernen“
winkt ein gigantisches Kundenpotential: Immerhin drei Prozent
aller Erwachsenen trauen sich nämlich, einer westdeutschen
Meinungsumfrage zufolge, selber Heilkräfte zu. Das
wären hochgerechnet immerhin rund drei bis vier Millionen
Menschen im deutschsprachigen Raum.
2. Heilerausbildungen sind vergleichsweise lukrativ, gemessen
am Zeitaufwand oft einträglicher als Einzelbehandlungen.
Bis zu fünfstellige Summen pro Teilnehmer werden dafür
verlangt und bezahlt.
3.
Heiler auszubilden, ist meist mit deutlich weniger Stress
und Verantwortung verbunden, als zu heilen.
4.
In den meisten westlichen Ländern ist medizinischen
Laien, die keine ärztliche Approbation oder eine sonstige
staatlich festgestellte therapeutische Qualifikation vorweisen
können, das Behandeln von Krankheiten strikt untersagt;
demgegenüber erspart sich juristische Scherereien,
wer das Behandeln lediglich lehrt.
Aus
all diesen Gründen wäre die Idee, Heilen sei lernbar,
selbst dann gross in Mode, wenn sie eine Fiktion wäre:
Denn fast alle Beteiligten profitieren davon – von
den Patienten einmal abgesehen. (HW)
1 Harry Edwards, Wege zur Geistheilung,
1963
2 Keith Sherwood, Die Kunst des
spirituellen Heilens, 1984
3 Ric Weinman, Deine Hände
heilen, 1988
4 Eileen Herzberg, Praktisches
Handbuch der Geistheilung, 1989
5 George Paul Huber in einem Interview
mit Lichtwelle 3/02
6 Wickert-Institute, Juni 1991. Befragt
wurden 1795 Westdeutsche.
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